
In der täglichen Arbeit von Ärzten in Schweizer Spitälern ist Zeit ein äusserst knappes Gut. Der stetige Spagat zwischen medizinischer Versorgung, administrativen Aufgaben, Dokumentation und interdisziplinärer Kommunikation führt häufig zu Überstunden, Stress und ineffizientem Arbeiten. Wer die grössten Zeitfresser im Spital identifiziert und gezielt gegensteuert, kann nicht nur die eigene Arbeitsbelastung reduzieren, sondern auch die Qualität der Patientenversorgung verbessern. Dieser Beitrag zeigt praxisnahe Lösungsansätze, wie sich typische Zeitfallen vermeiden lassen
Inhaltsverzeichnis
Unstrukturierte Visiten – wertvolle Minuten gehen verloren
Visiten gehören zum zentralen Bestandteil der Patientenbetreuung, doch sie verlaufen häufig unkoordiniert. Es fehlen aktuelle Laborwerte, die elektronische Krankengeschichte ist unvollständig dokumentiert oder die Stationsärztin kennt den Patienten noch nicht. Das Resultat: lange Diskussionen, doppelte Untersuchungen und unproduktive Rundgänge.
Praxisbeispiel:
Im Spital führte eine Abteilung ein strukturiertes Visitenprotokoll ein – mit standardisierter Vorbereitung durch das Pflegeteam, definierten Aufgaben für Assistenz- und Oberärzte und digitalen Checklisten. Das Ergebnis: Die durchschnittliche Visitenzeit sank um 25 Prozent, die Anzahl Rückfragen nach der Visite deutlich.
Lösungsansätze:
- Einführung klarer Zeitfenster und fixer Tageszeiten für Visiten
- Standardisierte Visitenchecklisten für Pflege und Ärzte
- Vorab-Bereitstellung aller relevanten Informationen (Befunde, Medikation, Verlauf) im Klinikinformationssystem (KIS)
Hilfereiche Tipps speziell für Assistenzärzte finden sich hier:
Dokumentation: Wenn die Tastatur wichtiger wird als der Patient
Bis zu 40 Prozent der Arbeitszeit verbringen Ärzte in Schweizer Spitälern mit Dokumentation – meist am Bildschirm. Neben dem medizinischen Berichtswesen kommen administrative Anforderungen hinzu: Codierungen, Qualitätserfassungen, Versicherungsanfragen oder interne Rückmeldungen. Die Dokumentationslast steigt kontinuierlich – oft ohne direkten Nutzen für den Patienten.
Praxisbeispiel:
Ein Spital testete Spracherkennungssoftware für Arztbriefe und Kurzeinträge im KIS. Nach drei Monaten reduzierte sich die durchschnittliche Dokumentationszeit pro Patient um 30 Prozent, bei gleichzeitig besserer Lesbarkeit der Einträge.
Lösungsansätze:
- Einsatz von Spracherkennungssoftware oder Diktierlösungen
- Automatisierte Textbausteine für Standardberichte
- Delegation nicht-medizinischer Dokumentationsaufgaben an administrative Fachkräfte
- Optimierung der Benutzeroberfläche im KIS (Usability-Check)
Kommunikation – zu viel, zu unkoordiniert
Die Zusammenarbeit im Spital erfordert permanente Kommunikation zwischen Ärzten, Pflege, Diagnostik, Verwaltung und externen Partnern. Wird diese Kommunikation jedoch nicht koordiniert, entstehen Verzögerungen, Wiederholungen und Missverständnisse – ein klassischer Zeitfresser im Spitalalltag.
Praxisbeispiel:
Im Spital wurde ein sicheres internes Messenger-System eingeführt. Statt Rückfragen telefonisch zu klären, kommunizieren Ärzte und Pflege strukturiert per Chat – mit eindeutiger Nachverfolgbarkeit. Die Rückmeldedauer auf interne Anfragen sank um 40 Prozent.
Lösungsansätze:
- Einsatz moderner Kommunikationslösungen (z. B. verschlüsselte Messaging-Apps für das Team)
- Klare Kommunikationsregeln: Wer informiert wann wen, in welcher Form?
- Tägliche, interdisziplinäre Kurzbesprechungen mit Zeitlimit
- Checklistenbasierte Übergaben bei Schichtwechseln
Multitasking und Unterbrechungen: Konzentration ade
Spitalärzte wechseln im Schnitt alle 11 Minuten die Tätigkeit. Ursachen: Piepsende Pager, Anrufe, Rückfragen, spontane Unterbrechungen. Multitasking wird zur Norm – doch es mindert die Konzentration, verzögert Abläufe und erhöht das Fehlerpotenzial.
Praxisbeispiel:
Eine Abteilung im Spital führte „Fokus-Zonen“ ein: Zeitfenster ohne Unterbrechungen, in denen z. B. Arztberichte geschrieben oder komplexe Fälle analysiert werden. Die Produktivität stieg merklich, die Fehlerquote bei Entlassungsbriefen sank.
Lösungsansätze:
- Festlegen von „Stillarbeitszeiten“ pro Arztteam
- Abschalten nicht dringlicher Benachrichtigungen während konzentrierter Arbeitsphasen
- Delegation von Routinekommunikation an medizinische Sekretariate
- Visuelle Kennzeichnung von Arbeitsphasen, z. B. durch Türschilder oder Statusanzeigen
Überbordende Bürokratie und unnötige Meetings
Immer mehr Ärzte klagen über wachsende Bürokratie: Sitzungen ohne klaren Nutzen, überladene E-Mail-Postfächer, Kontrollberichte und Richtlinienpflege. Viele dieser Aufgaben dienen eher der Absicherung als der Patientenversorgung.
Praxisbeispiel:
Ein Spital führte ein zentrales Tool zur Besprechungsorganisation ein. Nur noch Sitzungen mit klar definiertem Ziel, Teilnehmerliste und Zeitrahmen wurden genehmigt. Innerhalb eines Quartals sank die Anzahl interner Meetings um 45 Prozent.
Lösungsansätze:
- Einführung einer Meeting-Policy: Nur relevante, vorbereitete und zeiteffiziente Sitzungen
- Delegation administrativer Aufgaben an Case Manager oder Kodierfachkräfte
- Prüfen von Formularpflichten und Berichtsvorgaben auf tatsächlichen Nutzen
- Nutzung digitaler Tools für Protokolle, Aufgabenverteilung und Fortschrittskontrolle
Fazit: Effizienz braucht Struktur, Technik und Teamgeist
Die grössten Zeitfresser im Spital entstehen oft durch fehlende Struktur, veraltete Abläufe oder unklare Zuständigkeiten. Wer sich diese Schwachstellen bewusst macht und gezielt gegensteuert, kann die tägliche Arbeitszeit spürbar entlasten – und gleichzeitig die Versorgungsqualität verbessern. Es lohnt sich, regelmässig Prozesse zu hinterfragen und gemeinsam im Team nach Verbesserungen zu suchen. Denn ein effizienter Spitalalltag kommt letztlich allen zugute: Ärzten, Pflegenden – und den Patienten.